Vom Wollen
Zum Wichtigsten, was ich in den letzten Jahren gelernt habe, gehört, dass wir nicht nur die Stimme des denkenden Verstandes in uns tragen, sondern auch die des Körpers, des Herzens, und der Seele. Und dass wir, wenn wir uns nur nach dem Verstand richten, Wesentliches verpassen, denn wir nutzen dann nur ein Viertel der Informationen, die uns zur Verfügung stehen könnten.
Der denkende Verstand, unser ständig aktiver Geist, produziert unablässig Gedanken, die uns in die eine oder andere Richtung ziehen. Er tut dies, um uns zu schützen. Dabei kann er aber sehr selbstkritisch sein und ist oft regelrecht abwertend. Nicht immer tut es gut, ihm zu glauben.
Das Herz ist die Stimme unserer Emotionen – es spricht in Form von Gefühlen, die an- und abschwellen und häufig wechseln, zum Beispiel in Form von Angst, Wut, Scham, Traurigkeit, Eifersucht, Freude, Begeisterung und Liebe.
Der Körper spricht in Form von Spannungsgefühlen, Schmerzen, Hunger, Durst, Müdigkeit, Frische, Fließen oder Stocken des Atems, Beklemmung, Entspannung, und anderen physischen Wahrnehmungen. Auch bewahrt er körperliche Erinnerungen an längst Vergangenes auf und kann auf diese Weise einen Zugang zu früher Erlebtem ermöglichen.
Die Seele ist die Stimme unseres wahren Selbst. Sie verbindet uns mit dem Universalen, dem Spirituellen, dem Großen Ganzen. Sie kennt die übergeordnete Perspektive und wird zugänglich, wenn wir tief in uns hineinhorchen.
Mehr und mehr mache ich es mir zur Gewohnheit, möglichst oft alle vier Stimmen zu befragen. Sei dies bei einem ganz konkreten, anstehenden Problem, oder sei es einfach in Form eines offenen in-mich-hineinhörens. Fast immer führt diese Methode zu Erkenntnissen, die mich weiterbringen – oft in Form unerwarteter Antworten, die ich allein mit meinem Verstand nicht gefunden hätte.
Dies nahm ich wahr, als ich heute früh auf meine vier Stimmen horchte:
Verstand: Viele Dinge gehen mir durch den Kopf, ich fange an, im Geiste Listen und Terminpläne aufzustellen, ich werde gedanklich hierhin und dorthin gezogen. Wie kann ich das alles in einem Tag schaffen? Wie bringe ich das alles in einer Woche unter? Schließlich mündet es in den zusammenfassenden Gedanken ein: „Du willst zu viel.“
Herz: leichte Panikgefühle, Ängste, Nervosität, Irritation.
Körper: Spannungsgefühl im Brustkorb, verstärkter Herzschlag, Spannung in der Nackenmuskulatur, an den Körper gepresste Arme, flacher Atem.
Seele: Es braucht immer eine Weile, um die Stimme der Seele zu hören – ich meditiere und warte... Die Stimmen von Verstand, Herz und Körper ziehen noch einmal vorbei, sie signalisieren überwiegend Stress und Herausforderung, die ich nun tief im Körper spüren kann… und dann höre ich „Du willst viel.“
Es ist fast das Gleiche, was der Verstand sagte, und doch verändert es alles. Augenblickliches Nachlassen der körperlichen Anspannung, Stillwerden des Geistes. Freude und ein Gefühl von Frieden breiten sich in meinem Herzen aus. Ja, ich will viel, und es ist in Ordnung, viel zu wollen. Ich darf dies wollen und noch viel mehr. Es ist niemals zu viel. Es kommt als Wollen aus mir heraus, es ist im Einklang mit mir, und meine Seele wusste das immer. Dieses Wissen in den Tag hineinzunehmen, ist etwas fundamental anderes, als wenn ich beim Verstand und bei seinem „Du willst zu viel“ stehengeblieben wäre. Es bringt Klarheit, Gelassenheit und Motivation. Der Tag wird gut werden.