Langsam
Der Begriff Achtsamkeit begegnet mir in letzter Zeit überall. Er findet sich in Blogs und Zeitungsartikeln, in den Schaufenstern von Buchhandlungen, und in wissenschaftlichen Studien, die herausgefunden haben, dass durch Achtsamkeit psychische Störungen gelindert und Beziehungen geheilt werden. Wir sollen achtsam durch den Alltag gehen und dadurch unser Gehirn beruhigen, unsere Seele in Einklang mit dem Universum bringen, und glücklicher werden.
Doch wie geht das? Muss ich jetzt jede Minute meines Lebens überwachen, jede Handbewegung geistig mitverfolgen, jeden Gedanken dreimal durch den Kopf kreisen lassen, bevor ich ihn ausspreche? Darf ich gar nicht mehr abgelenkt sein, tagträumen, oder spontan reagieren? Muss ich Kurse besuchen, um das zu lernen?
Achtsamkeit - das bewusste Fokussieren auf das, was gerade geschieht - gelingt am leichtesten während einer längeren Meditation. Dabei erlebe ich manchmal sekundenweise das Gefühl einer vollkommenen Bewusstheit. Das ist wunderbar. Aber diese Art von Konzentration in den Alltag mitzunehmen ist schwieriger. Wie kocht oder duscht man achtsam? Wie schiebt man seinen Einkaufswagen achtsam durch die Supermarkt-Regale? Wie geht Achtsamkeit bei der Arbeit? Oder während der Auseinandersetzung mit einem anderen Menschen? Die einfache Wahrheit ist: Immer wieder verliere ich über den Einzelheiten des täglichen Lebens den intensiven Fokus. Ich vergesse. Es entgleitet.
Aber ich kann etwas anderes: Langsam sein. Ich kann die Dinge, die ich im Laufe eines Tages zu tun habe, einfach langsamer tun. Das ist leichter.
Ich stehe unter der Dusche und seife mich langsam ein. Ich spüre dabei meine Haut, ich merke, dass ich einen Körper habe und in ihm lebe. Ich gehe gemächlich den Weg zur Arbeit, höre Vögel, rieche die Herbstluft, meine Lunge füllt sich damit. Ich befinde mich in einer Diskussion und lasse mir Zeit, bevor ich antworte. Die Pause, die dabei entsteht, lässt mich das, was mein Gegenüber gesagt hat, erst richtig begreifen. Ich stehe am Herd, rühre langsam in einem Topf, und die Gedanken in meinem Kopf ordnen sich wie von allein.
Und in der Langsamkeit sind sie dann plötzlich auch da - die drei Sekunden völliger Bewusstheit, in denen alles mit allem verbunden zu sein scheint. Stille. Klarheit. Verbundenheit.
Das ist der Weg.